Aufgrund des Margenverfalls im klassischen Geschäftsmodell der Telekommunikation sowie den weiterhin hohen Fixkosten des Betriebs eines Netzes sind die dort tätigen Unternehmen ständig auf Erweiterungen der alten Geschäftsmodelle angewiesen. Daraus erklären sich auch die kontinuierlichen Investitionen von Netzbetreibern in sog. Over-the-top-Dienste, also Services und Apps, die nichts mit dem eigentlichen Kern des Netzbetriebs zu tun haben.
Eine besondere Chance für zusätzliches Geschäft könnte sich bei neuen ortsbasierten Diensten im stationären Einzelhandel ergeben. Dazu zählen zum Beispiel Anwendungen wie Shopkick oder auch Dienste eines Händlers mit Zusatzinformationen zu einem ausgewählten Produkt.
Shopping-Dienste scheitern am Empfang
Bei allen ortsbasierten Diensten innerhalb von Gebäuden gibt es jedoch einen gewaltigen Haken: der Empfang. Die Netzabdeckung im Point of Sale (POS) ist für diese Dienste kritisch. GPS und Mobilfunk sind in vielen Gebäuden oftmals nicht nutzbar und es müssen andere Wege gefunden werden, diese Engpässe zu überbrücken.
Interessant ist nun die Frage, ob sich daraus vielleicht neue Geschäftsmöglichkeiten für Netzbetreiber ergeben?
Spontan fallen mir folgende Ideen für Dienste im Shop an:
- soziale Interaktion (Facebook, Twitter) aus dem Laden,
- Tagging von Produkten via Pinterest und Instagram,
- Empfehlungen,
- Zusatzinformationen zu Produkten (z.B. via QR-Code, iBeacon oder RFID am Produkt),
- Merkzettel-Funktion zu einem Produkt,
- Payment-Funktion.
Theoretisch ist es natürlich möglich, einige der Funktionen auch lokal auf einem Smartphone ohne Internetverbindung durchzuführen, aber für den intelligenten Kontext in Echtzeit braucht es einen guten Internet-Rückkanal. Zudem gibt es unter Umständen Online-Angebot wie etwa Preisvergleiche, die nicht im Interesse des Einzelhändlers liegen dürften und die er gern regulieren würde. Für den Einzelhändler gute Gründe, seinen Kunden einen (möglicherweise eingeschränkten) Internetzugang anzubieten.
Kostenlose HotSpots im POS
Die Frage muss doch lauten:
Wieso schaffen es die Provider, das Surfen im Café kostenlos anzubieten und beim viel margenträchtigeren Shoppen ist man immer noch viel zu oft offline?
Tatsächlich unverständlich!
Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom könnten ihr HotSpot-Geschäftsmodell zum Beispiel erweitern und die Nutzung innerhalb von Shops kostenlos anbieten.
Im Kleingedruckten würde allerdings darauf verwiesen, dass die Nutzung zu kommerziellen Zwecken ausgewertet wird und der Nutzer dieser Form zustimmt. Ein solcher Betrieb könnte sich daher vermutlich auch als kostenloser HotSpot finanzieren. Zusätzliche Einnahmemöglichkeiten würden sich in diesen Anwendungsfällen vermutlich weniger durch eine Steigerung der HotSpot-Abonenntenzahlen als vielmehr durch die mit einer Steigerung der Reichweite für mobile Online-Werbung oder andere Anwendungen für die erhobenen Shopping-Daten ergeben.
Echtzeit-Angebote vor Ort
Da dies alles produktnah geschieht, dürften extrem hochpreisige Margen für Online-Werbung an diesen Standorten zu erzielen sein. Werbeanbieter müsste noch nicht einmal der Telekommunikationsanbieter sein, sondern vielleicht der Händler, der dann in Abhängigkeit der beobachteten Nutzung und der erhobenen Daten entsprechende Angebote erstellt – und zwar vor Ort in Echtzeit!
Ein Beispiel gefällig? Der Kunde einer Drogeriekette sucht ein neues Shampoo für Allergiker. Dafür loggt er sich unter der Akzeptanz der Datenschutzbestimmungen ins WLAN ein und ruft Zusatzinformationen zum Produkt ab. Der Händler weiss nu, dass es sich um einen Allergiker handelt und kann ähnliche Angebote vor Ort anpreisen. Größere Händler wie ZARA würden das ganze Szenario vermutlich am liebsten über ihre eigen App abbilden, kleinere Händler wäre auf ein Angebot angewiesen, welches der Provider ebenfalls mitliefern könnte.
Daten-Plattformen schaffen neue Ökosysteme
Der “unfaire” Wettbewerbsvorteil der Provider läge darin, dass sie eine sichere Ende-zu-Ende-Verbindung garantieren könnten und langfristig auch eine integrierte Bezahlfunktion anbieten könnten. Der Telekommunikationsanbieter würde in diesem Fall sein Geschäftsmodell “Verkauf von Internet-Zugang” verändern zu einer Plattform, die Kundenwert schafft, indem sie die Vor-Ort-Kommunikation verbessert und bessere Angebote macht.
Wichtig für die komplette Wertschöpfungskette des Mobile Retail ist die Kenntnis der Nutzeridentität. Google, Facebook und Apple haben hier beträchtliche Vorteile. Datenschutzrechtlich sind diese Modelle zwar umstritten, liessen sich aber vermutlich konform zum europäischen Datenschutzrecht gestalten, indem die Daten zum einen in Europa gespeichert würden und die Speicherung nicht die Identität des Nutzers, sondern allenfalls eine Session-ID oder eine App-ID umfassen würde. Wichtig ist es, zum einen echte kaufrelevante Daten flächendeckend zu erfassen, diese jedoch den gewünschten Kontext herstellen könnte.
Payment als Killerfunktion
Die Killerfunktion schlechthin wäre natürlich das Payment samt Abrechnung über die Telefonrechnung dar. Irgendwie haben es die Telkos bisher versäumt, hier zur zweiten Kreditkarte zu werden.
Auch wenn die Telkos ihr Angebot im Bereich des elektronischen Bezahlens nicht auf die Strasse bekommen, sollten Internet-Provider wie die Deutsche Telekom wenigstens beginnen, datenbasierte Plattformmodelle für den lokalen Handel zu entwickeln – hier wird das Potential bislang nur unzureichend genutzt.